Kaum ein Schweizer Bahnhof, der heutzutage ohne Bettler auskommt.
Es erinnert mich an zwei Erlebnisse in Bukarest vor einigen Jahren. Von meiner Wohnung im 7.
Stock konnte ich die den belebten Platz unter mir genau beobachten und auch den Eingang zur Metrostation. Neben dem Eingang sass immer ein älterer Bettler, bei dem mir auffiel, dass ihm jeweils am Morgen das rechte und am Nachmittag das linke Bein fehlte. Anscheinend war die Yoga-Verrenkung, durch die er den Unterschenkel verbarg, nicht förderlich für die Durchblutung. Dann staunte ich auch nicht schlecht, als abends einmal ein Mercedes vorfuhr, um ihn abzuholen. Meine rumänischen Freunde klärten mich auf, dass Betteln ein florierendes Business sei und die besten Standplätze von „Bettlerbaronen“ gehalten und mit eigenen Leuten ausgestattet werden.
Auf der Treppe, die in die Metro hinabführt, sassen in einigem Abstand drei bettelnde Jungs. Eines Morgens hatte einer von ihnen begonnen, repetitiv den Kopf hin und her zu bewegen – war das ein neurotischer Tick? Man musste schon Mitleid mit ihm haben, das sah wirklich nicht gesund aus. Doch als ich am Abend nach Hause kam, war der Anblick ungleich beeindruckender: der Bettelnachbar des ersten Jungen hatte anscheinend verstanden, dass repetitive Kopfbewegungen das Herz der Vorbeigehenden erweichen. Und er legte kurzum noch einen drauf und schwang sein Haupt dezidiert nach links und rechts. Will heissen: Diesem Jungen geht es noch schlechter, er hat das Almosen verdient! Am nächsten Tag schlug dann die Stunde des dritten Jungen. Er dachte sich, wenn schon, denn schon, und bewegte nicht nur den Kopf, sondern den ganzen Oberkörper wild in alle Richtungen, so dass die Passanten unweigerlich zum Schluss kommen mussten, dass es diesem Jungen am schlechtesten ging, und er ihren Mitleidsbatzen verdient hatte.
Ob all den Verrenkungen wurde mir ganz sturm im Kopf. Seither komme ich den Bettlern, die mich ansprechen, jeweils zuvor, schüttle lieber selbst den Kopf und gehe schnell weiter.