Nun ruft die Frau mit dem Ostschweizer Akzent tatsächlich zum zweiten Mal an. Gestern schon wollte sie mir die innovative Medizinalfirma vorstellen, deren Aktien ich kaufen solle. Während ich die Dame gestern noch höflich darauf aufmerksam machte, dass ihr Anruf nun wirklich gar nicht erwünscht sei, da mein Eintrag in allen Telefonverzeichnissen unmissverständlich mit einem Stern markiert ist, übernimmt heute das Adrenalin die Steuerung unserer weiteren Konversation. Über meine Lippen gelangen unschöne Wörter, die ich selten gebrauche. Die Frau entschuldigt sich, aber man hört, dass sie dies nicht zum ersten Mal tut. Ja, sie würde sich auch einen anderen Job wünschen, aber so einfach sei der halt nicht zu finden.
Wieder einmal fülle ich das Internet-Formular des Staatssekretariats für Wirtschaft zur Meldung unerwünschter Anrufe aus. Doch wie schon in der Vergangenheit erscheint nach Drücken des «Absenden»-Knopfs keine Empfangsbestätigung, sondern eine leere weisse Seite. Ob den zuständigen Beamten meine Meldung erreicht hat, bleibt ungewiss. Ich will die Frage nicht offenlassen und versuche, mit einem Anruf nachzuhaken. Bei der Telefonzentrale der Bundesverwaltung warte ich 27 Mal Klingeln ab, in der Hoffnung, dass hier doch jemand in der Nähe des Telefons sein könnte, der Zeit für mich hat – vergebens.
Telefondamen gäbe es genug, aber sie sitzen am falschen Ort und beschäftigen sich damit, die Leute mit unerwünschten Anrufen zu verärgern: das sind Anti-Arbeitsplätze anstelle von Arbeitsplätzen.
Wer Markt und Staat gegen einander stellt, irrt. Eine Marktwirtschaft braucht gute Regeln, zum Beispiel eine griffigere Gesetzgebung gegen unerwünschte Anrufe. Andererseits brauchen wir einen effizienten Staat, der für die Bürger auch erreichbar bleibt.
Nur so bringen wir die Telefonistinnen an die Orte, an denen sie für die Gesellschaft Nutzen stiften.
Michael Derrer, Unternehmer, Rheinfelden